El-G: Das Ich als Text in der Fremde

Ein  Flimmern im spannenden Hintergrundrauschen des Weltgeplauders.
Niemand ist gemeint.

Neue Literatur, Prosa, Lyrik, Roman, Online Kunst, verbale Performance, Exposé, Epimetheisch, Erfundene erlogene ausgedachte Geschichten.

Farbwechsel (setzt Cookie)

Der Erstschlag

Der erste Schlag kam nicht unerwartet. Und er kam so, wie sie es gelernt hatten. Nimm zuerst die Waffen. Die Handgelenke, die Fußgelenke, die Knie, die Augen. Der linke Schwinger war langsam, aber nachdrücklich perfekt. Hinter seiner Schläfe verabschiedete sich ein Gefäß in der Augenhöhle und die ausströmende Einblutung legte sofort seinen Sehnerv lahm.

Er hörte seine Halswirbel krachen. Und er erinnerte sich, wie sie damals an ihrem Anfang im Unwetter flüsterten. Wie es nicht nötig war, zu hören, denn dieses Verstehen hatte keine Sprache nötig. Es wäre auch vergeblich gewesen in diesem tosenden Sturm, als Äste brachen und die Außenbestuhlung aufgemischt wurde. Und sie waren einander so sicher, dass es jenseits von Gewissheit war, den nächsten Tag gemeinsam zu sehen.

Dass die folgende Gerade direkt danach kam, war neu, aber aus der Bewegung heraus konsequent. Sie und die Rechte trafen das andere Auge voll und der Eisenring ihres Zeigefingers schredderte seine Braue zu einem wilden Decors molekularer Küche.
Das Privileg einer neuen Leidenschaft ist der Glaube, alles richtig zu machen. Der Preis einer Alten ist das Wissen, dass alles, was du bekommst, von woanders genommen wurde, und dass alles, was du gibst, dir fehlen wird.

Manchmal verwechselt sich Schmerz mit Leidenschaft, Leidenschaft mit Sex, Sex mit Unterwerfung. Nein, es ist niemals das gleiche, es gäbe diese unterschiedlichen Wörter nicht, wäre es das Gleiche. Und beide hatten all diese Stationen hinter sich, nur kamen sie jeweils aus der anderen Richtung. Ein irrer Tanz um eine leere Mitte und keine Gravitation irgendeiner gemeinsamen Vergangenheit würde die Fliehkräfte des ausbrechenden Wahnsinns noch halten können. Manchmal ist der Erstschlag die letzte Antwort auf eine langwährende Abfolge von Demütigungen.

Sie griff seine Haare, diese merkwürdige Vertrautheit, und riss sie für einen kurzen Moment zu sich. Sein Reflex versuchte den Kopf schützend nach hinten zu ziehen und sie nahm die Gegenbewegung auf, verstärkte sie mit ihrem ganzen Körper, offenbarte seinen Hals, während sich ihr Handballen schnell in seinem Kehlkopf versenkte.

Und sie erinnerte sich, wie er ihr das zu enge Shirt hinter den Kopf zog, ihre Arme drinnen ließ und ihr die Fähigkeit nahm, ihn zu berühren. Sie erinnerte sich, wie er ihre Lippen zerbiß, während er ihre Hose öffnete und bis zu den Knien herunter rutschen lies. Sie erinnerte sich, wie er sie auf den Sessel stupste und sie fiel. Wie er den Schritt ihrer Jeans nahm und ihn hinter ihrem Kopf fixierte, sodass sie gespreizt und unfähig zu irgendeiner Bewegung vor ihm lag. Sie erinnerte sich an den Geschmack des Blutes ihrer zerfetzten Lippen. Sie erinnerte sich, wie er ihr – weh tat.

Leise röchelnd streckte er leicht die Zunge heraus. Sie hatte kein zynisches Holzstäbchen. Sie sagte nicht »Mach mal ahh«. Stattdessen vergrub sie beide Hände in seinen Haaren, hinter seinem Kopf, langsam, bis sich ihre Finger in seinem Nacken verschränkten. Fast lächelte sie, als sie an ihm hoch sprang und ihr Knie so sehr an seinen Unterkiefer schmetterte, dass sie alle Balance verlor und nach dem Treffer mit ihm zu Boden fiel. Seine Unterlippe wurde von seinen Zähnen in der Mitte durchtrennt und nun schoss sein Blut in seinen Mund.

Entfernt erinnerte er sich an die unzählig geschmacklosen Passagen über den Geschmack, er sei mal warm, mal metallisch, mal süß, mal bitter, mal verklärt, mal martialisch. Jetzt wusste er: Blut schmeckt immer falsch. Es war der erste und letzte Gedanke, den er niemals wieder wissen würde.

Da war ein leichtes Wundern, als ihr auffiel, wie fokussiert sie alles vollbrachte. Sie rollte sich herum, bis ihre Gesichter einander zugewandt waren. Sie schaute ihn an, wie er zerschmettert neben ihr lag und sie konnte sich nicht erinnern, ihn jemals so gleichmütig erlebt zu haben. Seine gespaltenen Lippen lächelten leicht, sein geschwollener Blick ruhte sanft auf ihr, bis er wegklappte. Er konnte sie nicht mehr halten. »Und was mir Halt gibt, hält mich fest.« zitierte sie leise. »Und hält mich auf.« Zeit aufzustehen. Zeit aufzubrechen.

Zuletzt erinnerte er sich, wie sie im Sturm lächelnd zu ihm flüsterte und wie ihre Blicke lauter zu ihm sangen als alles Atmen dieser Welt. Er bereute, dass er ihr niemals geantwortet hatte. Jetzt hatte er keinen Atem mehr, um auch nur zu flehen. Jetzt, als sein Blick ihrem entwich, schrien ihre Augen im geheuchelten Furor. Sie wussten beide, dass sie es gemeinsam waren, die bis hierhin gegangen sind. Jetzt gab es keine Erde mehr, die noch brennen konnte. Jetzt hatten sie nichts mehr zu geben.

So oft sie in den vorangegangenen Tagen durch diese Choreographie gestolpert war, hatte sie keinen Gedanken daran verloren, was anschließend geschehen sollte. Also stand sie langsam auf, ohne ihren Blick von ihm zu lassen, sammelte ihre Sachen zusammen und als sie sich zum letzten Mal zu ihm drehte, waren kleine Blasen roten Speichels an seinem Mund und platzten ungehört. Das rechte Auge schielte nach außen, als ein leichtes Zittern durch seinen Körper brandete und an den Klippen ihrer neuen Kälte verebbte.